Rechtspolitischer Dialog #2: Aktuelles aus der Kriminalpolitik (mit Prof. Dr. Jörg Eisele)

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Die Kriminalpolitik, die Strafrechtssetzung ist eine der vitalsten Bereiche der Rechtspolitik überhaupt. In ihr mischen sich nicht nur juristisch-dogmatische und empirisch-sozialwissenschaftliche Expertise, sondern auch grundlegende Gesellschaftsentwürfe, politische Prinzipien und Richtungsentscheidungen. Bereiche wie beispielsweise das Sexualstrafrecht blieben noch in keiner Legislaturperiode unverändert. Wir haben am 7. Februar 2022 über die aktuellen Themen der Kriminalpolitik mit Prof. Dr. Jörg Eisele gesprochen. Professor Eisele ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Straf- und Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Computerstrafrecht an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und war in der Vergangenheit bereits des Öfteren als Sachverständiger im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages.

Das Chaos um die Strafbarkeit der „einfachen“ Impfpassfälschung

Zunächst wurde über das gesetzgeberische Chaos um die Strafbarkeit der Vorlage von gefälschten Impfpässen bei Apotheken gesprochen. Nach mehreren Gesetzesänderungen zum 1.6.2021 und 24.11.2021 darf nun von einer umfänglichen Strafbarkeit ausgegangen werden, nachdem zuvor eine normtechnische „Blockade“ von §§ 277, 279 StGB und § 267 StGB den typischen Sachverhalt – ein einfacher Bürger legt einen selbst gefälschten Impfpass bei einer Apotheke vor, um ein digitales Covid-19-Impfzertifikat zu erhalten – nicht hatte strafbar werden lassen. Professor Eisele sieht dennoch Mängel: „Ich hätte mir gewünscht, dass man das Infektionsschutzgesetz besser mit dem StGB abgestimmt hätte.“

Idar-Oberstein, Köpping-Demo, § 126a: Strafbarkeit und radikale Querdenker-Szene

Corona strahlt auch auf andere Bereiche des Strafrechts ab. Die Radikalisierung von Teilen des „Querdenker“-Milieus wirft Fragen nach Strafschärfungen und Schließung von Strafbarkeitslücken auf. Der neue § 126a StGB, der die gefährdende Verbreitung personenbezogener Daten unter Strafe stellt, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Professor Eisele konstatiert, dass bei der Auslegung der Norm aber ein spezifischer Gefahrzusammenhang zu fordern ist: Die spezifische Gefahr der Verbreitung muss sich in der Tat des Dritten realisiert haben, andernfalls entstünden – durch das eigenverantwortliche vorsätzliche Dazwischentreten eines Dritten kann eine Strafbarkeit nach allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts nicht begründet werden – Friktionen. Dies habe der Gesetzgeber auch dadurch verdeutlicht, dass er die Worte „nach den Umständen bestimmt“ in den Tatbestand aufgenommen habe. Professor Eisele sieht in der neuen Norm vor diesem Hintergrund keinen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 II GG. Zu bedenken sei außerdem: Bei neuen Strafnormen werde häufig die Bestimmtheit als Kritikpunkt ins Feld geführt. Aber: „Neue Phänomene haben es so an sich, dass es bisher keine Rechtsprechung und keine genaueren Kriterien gibt. Das BVerfG hat noch nie einer Norm des StGB die Unbestimmtheit attestiert.“

Aufzeichnung der Hauptverhandlung erstinstanzlicher Strafprozesse vor den Landgerichten

Als Projekt auf dem Gebiet des Strafprozessrechts will die neue Bundesregierung außerdem demnächst eine Aufzeichnung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung in Strafprozessen vor den Landgerichten ermöglichen. Im Allgemeinen gilt der bisherige Zustand als nicht mehr zeitgemäß. Professor Eisele meint: „Es ist besonders rechtsstaatlich, wenn die Hauptverhandlung nachher nochmal überprüft werden kann. Die Gegeneinwände, dass etwa das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten tangiert wird, wiegen relativ schwach. Denn für wen wird denn aufgezeichnet? Das Persönlichkeitsrecht ist schwach betroffen, die Chance aber für den Angeklagten, dass das Verfahren bzw. einzelne Fehler überprüft werden kann, ist ein großes Plus.“ Professor Eisele spricht sich außerdem eindeutig für eine Bild-Ton-Aufzeichnung aus. Für die Beweiswürdigung komme es gerade auch auf Mimik und Gestik der Vernommenen an, nicht nur auf das gesprochene Wort.

Neues im Sexualstrafrecht

Abschließend wurde über Neuerungen auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts gesprochen. Der Upskirting-Paragraph, § 184k StGB, ist nunmehr ein Jahr in Kraft. Auf erste Fallzahlen in der PKS bleibt noch abzuwarten. Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich mit § 184l StGB außerdem Herstellung, Besitz, Erwerb und Bewerbung von sog. Sexpuppen mit kindlichem Aussehen unter Strafe gestellt. In der Diskussion ist weiter momentan die Schaffung eines speziellen Tatbestandes für das sogenannte „Catcalling“, d.h. sexuell konnotierte, herabsetzende Äußerungen (zB. „hinterherpfeifen“). Dabei wird oft eine Anlehnung an den 2016 eingeführten § 184i StGB gefordert, der als Auffangtatbestand der „Hands-on“-Delikte fungiert und mit den Worten Professor Eiseles als „absolutes Erfolgsmodell“ bezeichnet werden kann. Dasselbe könnte nun im Bereich der sexuellen Belästigung auch mit Hands-off-Delikten und dabei dem Catcalling im Besonderen versucht werden. Dahingehende Vorschläge müssten aber den Spagat zwischen einer rechtsstaatlich bestimmten Tatbestandsfassung und zugleich einem sinnvollen Anwendungsbereich schaffen. Ob überhaupt eine Strafbarkeitslücke bestehe, sei mit Blick auf § 185 StGB in den prototypischen Fällen des „Catcalling“, das mehr als ein bloßes Hinterherpfeifen ist, fraglich. Auch hier müsse sich der Gesetzgeber die Frage nach der „ultima ratio“-Funktion des Strafrechts stellen. Professor Eisele möchte aber zunächst mögliche konkrete Gesetzesentwürfe abwarten. Und: „Als Strafrechtswissenschaftler im Rechtsausschuss geht es mir im Schwerpunkt weniger darum, eine strafrechtspolitische Richtung vorzugeben. Denn das ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Abgeordneten und damit des Deutschen Bundestages und nicht von Experten.“

Bericht: Simon Schlicksupp

Das Gespräch fand statt als Instagram Live auf dem Account der VLJ Baden-Württemberg (@liberalejuristen_bw) und kann dort angesehen werden.